Ebersdorfer Dorfgeschichten

Wie's damals gewesen, ist heute zu lesen.

Alte DorfgeschichtenBand 2 - 1989

Es geschah in einer Sommernacht

Wie die Ebersdorfer Kirche ein Raub der Flammen wurde

Autor: Hans Remde
Veröffentlicht: 1989

Es ist Sonntag, der 14. Juli 1946. Ein heißer Sommertag neigt sich seinem Ende zu. In Ebersdorf ist man schlafen gegangen. Man hat ein paar kleine Freuden, aber auch viele Sorgen mit ins Bett genommen. Die Sorge um das tägliche Brot vor allem … Denn die Zeiten sind, ein Jahr nach dem verlorenen Krieg, noch schwer und wenig hoffnungsfroh. Erst heute vormittag war man in der Kirche gewesen und hatte gebetet: „… unser täglich Brot gib uns heute …“ Und jetzt, beim Nachtgebet im stillen Kämmerlein, gehen die Gedanken unwillkürlich hin zur Kirche, deren hoher, nadelspitzer Turm mit seinen vier kleinen Nebentürmchen die nächtliche Szenerie des Dorfes als ein Bild idyllischen Friedens erscheinen läßt. Die Turmuhr verkündet die ersten Stunden des neuen Tages. Montag, der 15. Juli 1946, zieht herauf.

Die erste und zweite Stunde vergehen. Der Glockenschlag um viertel drei Uhr verklingt noch friedlich. Doch um halb drei Uhr gellt in die beiden Schläge der Turmuhr hinein ein entsetzlicher Schrei: „Feuer!“ Er reißt die Schläfer aus den Betten! Er pflanzt sich in rasender Eile fort. So rasend schnell wie das Feuer, das in der Pfarrkirche ausgebrochen ist und wütend um sich greift. Minuten später ist das ganze Dorf in Aufruhr. Das schaurige Tuten der Feuerhörner und die schrecklichen Rufe: „Die Kärchn brennt!“ jagen die Menschen aus ihren Häusern heraus, der Brandstätte entgegen. Schillers Lied von der Glocke wird lebendig mit den berühmten Versen: „Alles rennet, rettet, flüchtet – taghellist die Nacht gelichtet“.

Allzuschnell bietet sich Rettern wie Schaulustigen der Anblick eines lichterloh brennenden Gotteshauses. Denn allzuleicht finden die Flammen reiche Nahrung im Holz des Gestühls, der Kanzel, der Emporen, des Chors, der Orgel, im jahrhundertealten, salztrockenen Gebälk des Schilfes und Turmes wie im Gewebe der Decken, Läufer und Teppiche.

Die tapferen Feuerwehrmänner geben ihr Bestes, um zu retten, was noch zu retten ist. Zu allem Unglück werden die Löscharbeiten infolge Wassermangels sehr erschwert. So bleibt nichts anderes zu tun, als das Feuer auf das Brandobjekt zu lokalisieren und ein Übergreifen auf die Nachbargebäude zu verhindern. Der herrschenden Windstille ist es mit zu danken, daß diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind. Doch die wie Zunder brennende Kirche, das sehen schließlich alle, ist rettungslos verloren!

Aber sie sehen auch noch etwas Grausig-Schönes: Den wie eine lodernde Fackel in den Nachthimmel hineinragenden Turm, aus dem die Flammen wie Fontänen herausschießen und auf dessen Spitze sich der vergoldete Hahn längst in einen „roten Hahn“ verwandelt hat. Im Funkenregen prasseln die vom Dach des Turmes abspringenden Schiefer wie Schlossen eines nächtlichen Gewitters herunter. Jeden Augenblick kann der 37 Meter hohe Turm einstürzen! Wohin wird er fallen? Angst und Spannung zugleich packt die Menschen. Wenn der Turm auf das Pfarrhaus oder die neben und dicht hinter der Kirche stehenden Anwesen stürzt, sind auch sie verloren!

Doch was ist das? Tönt es nicht wie Orgelmusik aus der brennenden Kirche heraus? Ja, es gibt keinen Zweifel: Es sind Orgelklänge! Ein Schauder überkommt diejenigen, die es hören. Sollte noch jemand in der Kirche sein und Orgel spielen? Aber nein! Keine menschliche Hand vermag in diesem Inferno die Manuale zu rühren. Was ist Wahrheit, was Legende? Niemand weiß es zu sagen.

Eines aber ist sicher: Viele, auch hartgesottene Männer, haben Tränen der Rührung in den Augen, als sie die letzten Klänge ihrer vertrauten Orgel wahrnehmen.

Kurz darauf sackt der fast ausgebrannte, blutigrot-glühende Turm erst in sich zusammen und stürzt dann zwischen Pfarrhaus und Kriegerdenkmal – ohne Schaden anzurichten – auf den vorderen Kirchplatz herunter. Das ist das Ende des Wahrzeichens von Ebersdorf. Das ist auch das Ende der Pfarrkirche.

Im Morgengrauen beginnt es zu regnen. Wie Tränen des Himmels fallen die Regentropfen in die rauchenden Mauerreste und verkohlten Balken eines vor wenigen Stunden noch ehrwürdigen, stolzen Bauwerkes. Durch die „Neue Presse“ erfahren tags darauf weite Bevölkerungskreise von der
Ebersdorfer Brandnacht. Der Originalbericht dieser Coburger Zeitung lautet:

Kirchenbrand in Ebersdorf

Aus bisher unbekannter Ursache brach in der Sonntagsnacht in der Pfarrkirche zu Ebersdorf bei Coburg Feuer aus, das sehr rasch um sich griff und das ganze Kirchengebäude bis auf die Grundmauern einäscherte. Der Brand entstand vermutlich an der Orgel, erfaßte sodann den Dachstuhl und schließlich den hölzernen Turmbau. Infolge Wassermangels gestaltete sich die Löschaktion der an den Brandplatz geeilten Feuerwehren sehr schwierig, die sich nur auf ein Lokalisieren des Feuers auf das Brandobjekt beschränken konnte. Die Kirche erlitt einen Totalschaden, sie war erst 1934 renoviert worden und unter den Kirchen des Coburger Landes historisch wertvoll. Die Ebersdorfer Kirche ist aus der vor etwa 700 Jahren errichteten „Eberhardskapelle“ hervorgegangen und nach und nach zu einer Kirche um- und ausgebaut worden. So ist z.B. „anno 1687 der Kirchenbau erhöht und verlängert worden“. Andere Ergänzungen wurden vorgenommen in den Jahren 1720, 1751, 1809 und später. Als im Jahre 1867 ein Turmknopf abgenommen wurde, war man allgemein sehr gespannt, welchen Inhalt er barg. Es fand sich aber nur ein Hildburghäuser Sechskreuzerstück darin. Der Pfarrer bat nun seine Gemeinde, doch einige Münzen zu stiften, die in dem Turmknopf für spätere Generationen aufbewahrt werden sollten. Die Bitte war vergeblich. Es ging kein Heller ein. Erst ein Münzensammler aus Sonnefeld stiftete dann eine größere Anzahl von Münzen für den gedachten Zweck. Sehr bedauerlich ist die Vernichtung der Orgel, die bis zum Jahre 1805 im Kloster Banz stand und eine der schönsten im Coburger Land war. Von den ursprünglich vorhandenen drei Glocken blieb im Kriege nur die kleinste, die aus dem 16. Jahrhundert stammte. Auch sie ist neben anderen wertvollen hieratischen Reliquien vergangener Jahrhunderte dem Feuer zum Opfer gefallen.

Neue Presse Coburg vom 16. Juli 1946

Bleibt nur zu ergänzen, daß die Brandursache bis heute noch nicht bekannt ist.
Sie wird wohl für immer im Verborgenen bleiben.

Über den Autor

Hans Remde
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Ein Gedanke zu „Es geschah in einer Sommernacht

  • Monika Hetz

    Der Kirchenbrand und die Gerüchte darüber haben mich schon immer fasziniert. Meine Mutter hat mir immer wieder davon erzählt: Sie waren beim „Stern aufm Tanz“ und sind danach, an der Kirche vorbei, nach Hause gegangen. Da war noch alles in Ordnung. Als meine Mutter gerade zu Bett gehen wollte, hörte sie von draußen die Schreie, dass die Kirche brennen würde. Vom Fenster aus konnte sie den Schein auch schon sehen. Wahrscheinlich war in dieser Nacht das ganze Dorf auf den Beinen. Jeder hat zugeschaut. Meine Mutter und meine Oma sind dann auch hingegangen. Und auch sie haben immer wieder beteuert, dass sie die Orgel gehört hätten. Vielleicht ausgelöst durch aufsteigende Luft?
    Immer wieder sind Gerüchte zu hören gewesen, dass ein Blitzschlag das Feuer ausgelöst habe. Das glaube ich aber nicht. Von einem Gewitter war bei meinen Eltern nie die Rede. Eine Anfrage meinerseits bei dem Wetterfrosch Jörg Kachelmann hat ebenfalls ergeben, dass bei der damaligen Wetterlage und der Temperatur ein Gewitter höchst unwahrscheinlich scheint. Allerdings waren die Wetteraufzeichnungen damals noch nicht so lückenlos und genau, wie heute. Und auch meine Eltern sagten, dass es erst zum Morgen hin angefangen habe zu regnen.
    Es bleibt geheimnisumwittert.
    Interessant wären auch noch weitere Zeitzeugenberichte von damals. Aber viele Zeugen wird es nicht mehr geben.
    Vielleicht kann ja noch jemand etwas zu diesem Thema beitragen. Etwa Erzählungen von den Eltern und Großeltern?

    Antwort

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